Bau-WAHNSINN – Heute: Moderner Betonismus (nach Harry G) | Conwick

Bau-WAHNSINN – Heute: Moderner Betonismus (nach Harry G)

Vielleicht wissen Sie sofort, was mit „Moderner Betonismus“ gemeint ist. Der Begriff stammt vom Münchner Comedian Harry G, und er bezeichnet eine bestimmte Art zu bauen, die in Deutschland derzeit weit verbreitet ist. Dem möchten wir in diesem Beitrag gerne auf den Grund gehen.

Moderner Betonismus – in Groß- und Kleinstädten zu bewundern

Wir haben ja schon über verschiedene „Trends“ im Bauwesen gesprochen: Steigende Baupreise, Klau am Bau, Streit am Bau, etc. Aber einer weit verbreiteten Strömung haben wir uns noch nicht gewidmet, und das möchten wir nun nachholen!

Wenn man sich unsere Städte so ansieht, dann fällt auf, dass sich vielerorts eine bestimmte Art zu bauen abzeichnet. Über Schönheit und Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten, insbesondere auch in der Architektur. Dennoch ist die Zahl der Kritiker bei diesem zeitgenössischen Baustil vergleichsweise hoch. Handelt es sich also um eine Bausünde? Kommt nach Renaissance, Barock, Rokoko, Neoklassizismus und Jugendstil jetzt also Moderner Betonismus?

Neulich sind wir auf ein Video gestoßen, in dem sich der bayerische Comedian Harry G über den weit verbreiteten Baustil auslässt. Uns zumindest hat es sehr zum Schmunzeln veranlasst:

 

 

Natürlich ist auch uns diese „stilprägende“ architektonische Richtung aufgefallen, die von Harry G „Moderner Betonismus“ getauft wurde und seiner Ansicht nach das Stadtbild von München zusehends verschandelt.

Von Richtlinien, Gestaltungsgrundsätzen und Ensembles

Wie gesagt, Geschmäcker sind verschieden. Dennoch gibt es in Städten und Gemeinden Regeln für Neu- und Umbauten, die von Bauträgern beachtet werden müssen. Insbesondere in Altstädten wird darauf geachtet, dass das Stadtbild langfristig erhalten bleibt. Deshalb gibt es Bebauungspläne und Gestaltungsgrundsätze, die gewisse Grenzen setzen. Das Ziel ist unter anderem der Ensembleschutz, von dem wir ebenfalls bereits berichteten.

Doch nicht nur in Altstädten verfolgen Kommunen das Ziel, eine gewisse optische Einheit zu gewährleisten. Hierzulande können die zuständigen Behörden vor Ort entsprechende Richtlinien erlassen, die bis zu einem sogenannten Verunstaltungsverbot reichen. Doch wenn man diese Logik weiterdenkt, müssen solche Vorgaben ja nicht unbedingt bedeuten, dass die Umgebung oder ein Stadtbild dadurch schöner wird. Auch das genaue Gegenteil ist denkbar: Wenn erst eine kritische Menge an „Betonbunkern“ errichtet wurde (um im Wording von Harry G zu bleiben), müssen sich dann nicht sämtliche in diesem Wohngebiet neu hinzukommenden Bauwerke an den bestehenden orientieren? Das würde bedeuten, dass die deutschlandweit aufkeimenden Betonghettos das neue Schönheitsideal unserer innerstädtischen Architektur werden oder gar bereits sind …

Schönheit liegt im Auge des Betrachters – außer vielleicht es sind zu viele?

Diese Frage diskutieren wir in ganz unterschiedlichen Kontexten, etwa in der Kunst, im Automobilwesen oder bei der Partnerwahl. Auch in der Architektur ist diese Frage durchaus alltagsrelevant. Ein eindeutiges Urteil kann jedoch in keiner der genannten Betrachtungsdimensionen gefällt werden. So fanden die alten Römer andere Aspekte schön als Handwerker im Mittelalter oder Künstler der Renaissance. Fragen nach Ästhetik laufen immer wieder auf die verallgemeinernde Aussage hinaus, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Interessant wäre in diesem Zusammenhang, wie die alten Römer, mittelalterlichen Handwerker und Renaissance-Künstler die moderne Betonarchitektur beurteilen würden … Doch das werden wir leider nie erfahren.

Egal, ob man selbst den Modernen Betonismus schön findet oder nicht: Den verantwortlichen Architekten sollte man pauschal keinesfalls mangelndes Ästhetikempfinden unterstellen. Schließlich gibt es noch eine Vielzahl anderer Betrachtungsparameter, beispielsweise Energieeffizienz, Funktionalität, Langlebigkeit, etc. Und dann gibt es da ja auch noch ganz banale, restriktive Faktoren wie Qualitäts-, Termin- und Kostenvorgaben, die beim Bauen oft Vorrang vor ästhetischen Ansprüchen haben.

Insgesamt kann man davon ausgehen, dass Architekten ihren Beruf als Berufung verstehen. Ihr Anspruch ist dann sicherlich auch, mit ihrer Arbeit etwas Einzigartiges zu schaffen und die Lebenswelt der Menschen ein Stück weit zu verbessern. Dass sie damit nicht jeden geschmacklich abholen ist gewissermaßen berufliches Risiko. Wenn es zu viele Kritikerstimmen gibt, dann liegt es natürlich auch nahe, das eigene Werk kritisch zu reflektieren.

Ob Moderner Betonismus nun stilprägend in die Architekturgeschichte eingehen wird oder nicht: Jedenfalls können wir von uns sagen, dass wir an dieser zeitgeschichtlichen Diskussion teilhaben. Und wir können die minimalistisch-massiven, klotzig-kubistischen, lieblich-grauen Betonquartiere nach Herzenslust loben oder uns gepflegt über sie auslassen …

 

Bild: Concrete (philippduemcke, Pixabay)